Ausgeliefert

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Mohanad ist im Asylcafé in Hürth ein gefragter Mann. Wenn die Mitglieder des Vereins „Brücke der Kulturen“ zweimal in der Woche ihre Nachbarn aus den städtischen Asylunterkünften zu Kaffee, Tee und Keksen einladen, um sie kennenzulernen, zu unterstützen und sie zu begleiten, hilft er, wo er kann. Der 25-jährige Kurde flüchtete im Jahr 2010 aus dem Nordirak nach Deutschland. Neben seiner kurdischen Muttersprache versteht er Persisch und eine ganze Reihe weiterer kurdischer Sprachen. Arabisch und Englisch hat er in der Schule gelernt. Und auch Deutsch spricht er gut. Im Asylcafé suchen vor allem Flüchtlinge aus Ländern des Nahen Ostens seinen Kontakt. Aber nicht nur wegen seiner Sprachkenntnisse. Sondern weil auch sein Herz sie versteht.

Mohanads beste Freunde sind ein Christ und ein Muslim.
Mohanads beste Freunde in Deutschland sind ein Christ und ein Muslim.
Hoffen auf ein sicheres Leben

Der immer besonnen wirkende junge Mann mit den freundlichen braunen Augen hat eine traumatische Flucht überlebt. Er weiß, was es heißt, seine Familie und seine Heimat verlassen zu müssen und in einem fremden Land anzukommen, in dem man ausgeliefert, auf Unterstützung angewiesen und nicht unbedingt willkommen ist. Nachdenklich blickt er auf die vielen Menschen aus aller Welt, die sich im Asylcafé versammelt haben. „Die sind alle hier her gekommen mit einer Geschichte und der Hoffnung auf ein neues Leben“, sagt Mohanad. Der Gedanke an die vielen Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, quält ihn. „Diese Menschen wollten alle nur eine Chance bekommen … und sind gestorben.“

Dass man diese Menschen irgendwie davon abhalten könnte, sich auf eine lebensgefährliche Flucht aus der Heimat zu begeben, glaubt er nicht. „Wenn du irgendeine Hoffnung hast, dass du in deinem Heimatland eine Chance hast, dann bleibst du da!“ spricht Mohanad für Menschen, die vor der Entscheidung stehen, aus ihrer Heimat zu fliehen. „Wenn du gehst, besteht vielleicht zu 80 Prozent die Gefahr, dass du stirbst, aber du hast auch eine zwanzigprozentige Chance. Schaffst du es, hast du ein neues Leben, schaffst du es nicht, dann bist du eben tot. Aber wenn du dich entscheidest zu bleiben, stirbst du zu 100 Prozent.“

In der Heimat droht der Tod

Als Yeside floh Mohanad im Jahr 2010 aus seinem Heimatdorf bei Mossul im Nordirak. Dort, im Hauptsiedlungsgebiet yesidischer Kurden, werden die Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft von der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung verachtet und von muslimischen Fundamentalisten an Leib und Leben bedroht. Seit die Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) in Mohanads Heimat wüten, werden seine Leute dort regelrecht hingerichtet.

Er ging in die 12. Klasse, als im Jahr 2007 ein 17-jähriges Mädchen von ihrem yesidischen Clan umgebracht wurde, angeblich, weil sie zum muslimischen Glauben übergetreten war. „Seitdem konnte ich nicht mehr zur Schule gehen“, erklärt Mohanad seine Situation damals. „Fast alle in meiner Klasse waren Muslime, und die haben mich immer angeguckt, als sei ich ein Verbrecher. Ich sah nur noch den Hass.“

Den Schleppern ausgeliefert

Nachdem er sich in seiner Heimat nach dem Abbruch der Schule mit Gelegenheitsjobs durchschlagen musste, beschloss er, etwas Besseres aus seinem Leben zu machen. Unterstützt von seiner Familie sammelte er Geld für seine Flucht nach Deutschland, wo bereits zwei Brüder lebten. Schlepper organisierten seine lebensgefährliche Route über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Bei sich hatte er eine junge Frau aus seinem Heimatort und ihre Tochter, auf die er aufzupassen versprochen hatte. Mohanad weiß, was es heißt, ausgeliefert zu sein. Was es bedeutet, blind den Unbekannten vertrauen zu müssen, die die Schlepperorganisation schickte, um sie von Station zu Station zu schleusen. „Du bekommst immer eine Adresse oder eine Telefonnummer, unter der du anrufen kannst, um einen Treffpunkt auszumachen“, erinnert er sich an die Logistik seiner Flucht. „Und du musst immer aufpassen, dass der Führer nicht plötzlich weg ist und dich alleine lässt.“

Mit einem ordentlichen Visum reiste er in die Türkei. In Istanbul übernahmen die Schlepper seine Reise. Mohanad erzählt von stundenlangen Fußmärschen in dunkelster Nacht und der Furcht vor der türkischen Armee, die die Grenze zu Griechenland kontrollierte. Er erzählt von der Todesangst, die er in einem kleinen, überfüllten Boot hatte, das ihn und andere Flüchtlinge bei Nacht über einen Fluss zwischen der Türkei und Griechenland brachte. Er erzählt von den unerträglichen Kopfschmerzen, die er bei einer stundenlangen Autofahrt bekam – ohne Pause mit neun Leuten eingepfercht in einem Kombi bei geschlossenen Fenstern, ohne Zutrinken und Essen. „Der Fahrer war Araber und hatte selber totale Angst“, erinnert sich Mohanad. Ich habe mich mit ihm unterhalten. Er hat gesagt, er mache das zum ersten Mal.“ Irgendwann stoppten Polizisten in Zivil den Wagen und verprügelt den Fahrer fürchterlich. Die Erinnerung daran scheint Mohanad fast körperlich weh zu tun. „Der arme Kerl“, stöhnt er und krümmt sich. Dann der Dreck und das Elend im griechischen Gefängnis, aus dem er nach acht Tagen mit einer Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate einfach auf die Straße entlassen wurde.

Die Schlepper schickten ihn nach Athen, wo er Karten für die Überfahrt mit einem regulären Passagierschiff auf eine griechische Insel bekam. Dort steckte ihm sein Kontakt gefälschte Pässe und Flugtickets für ihn, die Frau und ihre kleine Tochter zu und schickte sie zum Einchecken in den Flughafen. „Ich war noch nie auf einem Flughafen gewesen und wusste auch gar nicht, wo wir hin müssen“, erinnert sich Mohanad an die Angst und die Unsicherheit, die ihn im Flughafen überfielen. „Und man muss uns angesehen haben, dass wir da nicht hingehörten“, ist er sicher. „Man sieht doch fremd und unsicher aus und bewegt sich auch so.“ Dennoch ließ man die drei ungehindert einchecken und ins Flugzeug in die Tschechei steigen – durch alle Passkontrollen hindurch. Wie das geschehen konnte, weiß Mohanad bis heute nicht. „Die Kontrolleure haben die Pässe gar nicht richtig angeguckt.“

In Deutschland allein gelassen

In einer Unterkunft in der Tschechei wurden die drei von einem Wagen abgeholt und nach Berlin gebracht. „Wenn ihr da gleich aus dem Auto steigt, haben wir nichts mehr mit euch zu tun“, machte der Fahrer – ein Ägypter, wie sich Mohanad erinnert – den Flüchtlingen klar. Völlig auf sich alleine gestellt und nur mit ein paar Euro in der Tasche irrte er mit der Frau und ihrem völlig erschöpften und halb verhungerten Kind durch Berlin. Er wusste nur, dass er in eine Stadt namens Bremen gehen sollte, wo ein Bekannter seines Bruders weiterhelfen könnte. „Die Leute, die ich auf Englisch nach dem Weg zum Bahnhof gefragt habe, haben mich nur komisch angeguckt und sind weitergegangen“, erzählt Mohanad. Und ich dachte: ‚Was ist hier mit den Menschen los?‘ Als er schließlich zum Bahnhof gefunden hatte, brauchte er mehrere Anläufe, um am Schalter eine Bahnfahrkarte zu kaufen. „Ich hatte so Angst vor der Uniform“, erinnert er sich. „Ich dachte, der Mann am Schalter sei Polizei.“

Letztlich schaffte er es, die Frau und das Kind an deren Ziel zu bringen und sich nach Köln zu seinem Bruder durchzuschlagen. Die Erinnerung an die Freude über das Wiedersehen und die Trauer über die Familie in der Heimat, die er verlassen musste, überwältigen ihn noch immer. Doch er ist froh, hier zu sein. Er bekam eine Aufenthaltserlaubnis, lernte Deutsch und hat gute Chancen, in drei Jahren deutscher Staatsbürger zu werden. Im August hat er eine Metallbau-Lehre begonnen. „Ich habe meine Ziele erreicht“, ist Mohanad stolz. „Jetzt kann ich auch etwas geben.“

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